Mafalda Philipp ist Dentalhygienikerin. Für Swissdentalnews.com schreibt sie in ihrer Gastkolumne über den Alltag in der Dentalhygienepraxis. Dabei kann es schon mal zu einer filmreifen Szene kommen. Lesen Sie selbst:
Filmreif
Soziale Berufe erfordern in erster Linie Freude am Umgang mit anderen Menschen, ein offenes Ohr und die Bereitschaft zur Beratung. Wer dieser Jobvorliebe nachgeht, entscheidet sich unter anderem für einen Alltag mit erzieherischen, pflegerischen, medizinischen oder auch therapeutischen Aufgaben. Die Liste der Berufe ist lang und doch haben sie alle etwas gemeinsam. Berufe, in denen man mit allen Altersgruppen und Menschen aller Art in Kontakt kommt, hinterlassen ihre Eindrücke beim Leistungserbringer. Im Laufe seines Berufslebens wird es wohl jedem Arbeitnehmer passieren, dass er mindestens einmal auf dem Heimweg hoffentlich schmunzelnd denkt: „Was ich heute erlebt habe, war filmreif!“ Und so ging es auch mir. Hier mein abstraktestes Erlebnis.
Film ab: Erster Akt
Es ist ein unschuldiger, ruhiger Wintermorgen. Das Wartezimmer ist fast leer, denn es gibt weder Verspätungen noch Zahnunfälle. Auch das Telefon hält sich an die Idylle, während Michael Buble leise Weihnachtsstimmung in die Zahnarztpraxis säuselt. Er singt gerade von Kastanien, die auf dem offenen Feuer rösten, und ich sitze heute ausnahmsweise vorne an der Rezeption, weil mein Patient seinen Termin verpasst hat, als es mit lautem Krachen an der Tür klingelt.
Aufmachen! Polizei!!!
2ter Akt
Der Blick durch den Monitor, mit dem sich jeder Eintretende nach dem Klingeln vor unserer Überwachungskamera zu erkennen geben muss, bestätigt die Durchsage. Bewaffnete Uniformierte. Polizei. Die wollen keinen Notfalltermin bei der DH, das ist klar. Erneutes Klopfen an der Tür: Aufmachen! Ilona und ich schauen uns verdutzt und ungläubig an, gehorchen aber sofort. Unser krächzender Türöffner lässt das Squad-Team herein. Schnell und geübt positionieren sie sich rechts und links neben der Eingangstür. In voller Montur stehen sie da, die Herren von Recht und Ordnung. Der Überraschungseffekt, der den Gegner ausser Gefecht setzen soll, gelingt ihnen bisher recht gut. Mit gezückten Waffen und gespannten Köpfen bleibt ihre geheime Mission ein Rätsel. Mein logisches Denken verweigert sich vehement der Realität und ich vergesse, die Herren zu begrüssen. „Die Zentrale hat eine Gefahrenmeldung von hier erhalten“, endlich meldet sich einer zu Wort, der Kleinste der Truppe. Dann wieder Stille… Krimi in der Zahnarztpraxis. Weder ich noch Ilona haben Worte für dieses Szenario wie aus einem Drehbuch.
«Ähm, keine Ahnung, ich frage mal die anderen…»
Ilona, die Ruhigere von uns beiden, fragt den Rest des Teams, das im hinteren Teil der Praxis arbeitet, und ruft sie alle nach vorne. Sind sie vielleicht auf der falschen Etage? Eine berechtigte Frage, die sich aber niemand laut auszusprechen traut..
Mit hochrotem Kopf gesellt sich mein Chef, der Zahnarzt, zu uns. Eben noch hat er am Behandlungsstuhl einen Weisheitszahn gezogen, jetzt wechselt er blitzschnell zum Friedensbeauftragten und winkt beschwichtigend ab. «Nein, nein, alles in Ordnung, falscher Alarm, sorry, Sie können jetzt wieder gehen…« Doch so schnell geben sich die Herren nicht zufrieden. Angesichts der ungewohnten Situation oder so viel Testosteron, oder beides, hat sich inzwischen die gesamte weibliche Belegschaft vor den Uniformierten aufgebaut. Der weiblich dominierte Praxis Charme entschärfte die Situation und die Waffen wurden wieder eingesteckt. Eine willkommene Abwechslung im Alltag. „Ähm, ich habe da so einen Knopf gedrückt“, flüstert die Lehrtochter plötzlich in den gebildeten Kreis. Ich wusste gar nicht, wofür der ist. Ist das vielleicht der Grund für den Alarm?» Alle schauten sie an. So viel geballte Aufmerksamkeit war ihr unangenehm und liess ihre Wangen glühen. Die unschuldigen zwei Zöpfe und die Zahnspange verstärkten den Eindruck jugendlicher Neugier. «Was ist das für ein Knopf?», fragte die Ausbilderin. Lea führte uns hin.
3ter Akt
Es stellte sich heraus: Unter einem der Bürotische haben wir tatsächlich ein eingebautes Alarmanlagensystem. Ein Panikknopf, der bei Drücken einen stillen Alarm auslöst, um sofort Hilfe zu holen. Allerdings ohne Wissen unseres Teams. Selbst den langjährigsten Mitarbeiterinnen war er noch nie aufgefallen. Ein noch grösseres Fragezeichen wirft die Herkunft dieses Knopfes auf. Inwiefern gehört eine Zahnarztpraxis zu einer Gefahrenzone? Hat sich hier jemals eine Straftat ereignet, die seine Installation erforderlich machte? «Hier ist bestimmt schon mal was passiert!» Bei einigen von uns kochte die Phantasie über und es wurden die wildesten Szenarien für Zahnarztpraxen ausgedacht. Auf Nachfrage zuckte der Zahnarzt überzeugend mit den Schultern und stellte sich zu den Unwissenden.
«So, jetzt ist alles gut, zurück an die Arbeit, weiter geht’s.» Ein lautes Klatschen meines Chefs holte uns in die Realität zurück. Die Polizeitruppe zog wieder ab, nicht ohne ihr Protokoll auszufüllen. Eines, das eine Eins und viele Nullen dahinter zeigte. Klappe zu, Happy End.
Zurück bleibt eine unvergessliche filmreife Szene.
Filmreif : Happy End.
Kontakt Mafalda Philipp Instagram: Smilecare by Philipp