Alarm im Zahncockpit

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Durch Massnahmen und Notfallchecklisten können schwierige Situationen in der Zahnarztpraxis gemeistert werden.

Gastkolumnistin DH Mafalda Philipp

„Wer ein Warum hat, dem ist kein wie zu schwer“ Friedrich Nietzsche.


Es war ein ruhiger Morgen wie schon so viele andere zuvor. Ich sitze an meinem Arbeitsplatz vertieft in der Befundaufnahme und die vergangene Patientendaten lassen vermuten, dass es ein geschmeidiger Behandlungsablauf werden würde. Der Patient ist gut gelaunt das Ambiente entspannt. Im Hintergrund bringt ein guter Radiosender meinen Fuss zum Wippen und insgeheim freue ich mich schon auf das schöne Wetter zum Feierabend. Doch dann, urplötzlich, versinke ich in ein vorher nicht dagewesenes schwarzes Loch im Zahn. Es lässt sich subgingival sondieren und verschluckt meine DH2 Sonde und jedes Instrument, dass ich ihm hinhalte. Sogleich mache ich die Musik aus. Ein Datenvergleich mit vergangenen Röntgenbildern aus der gleichen Region lässt schlimmes vermuten: 

Alarm im Zahncockpit

Mit hastigen Schritten bringe ich das eben geschossene Röntgenbild zum Speicherfolienscanner und kollidiere fast mit einer Kollegin im Gang, die es ebenfalls eilig hat. Mein „Hast du Zeit?“ wird mit einem hastigen“ keine Zeit, unterbrochen und schon verschwindet die DA wieder. Ach ja, die sind an einer OP, rufe ich mir schnell zurück auf den Radar, steht ja in der Agenda. Zurück auf Kurs gehe ich intern meine imaginäre Checkliste durch. Als eine Art «Copilotinnen» sind wir Dentalhygienikerinnen ausgebildet worden schnell und effizient Daten zu er- und übermitteln, üblicherweise im Alleingang. Ein nicht einfaches Unterfangen bei diesem eigentlichen zwei Personen Manöver. Eine Assistenz, die beim Erarbeiten von Checklisten eine Rückbestätigung der aktuellen Handlung fordert, um Fehler rasch zu bemerken und diesen entgegenzuwirken ist selten dabei. Diese Redundanz macht nämlich erkenntlich, ob die Anweisung korrekt verstanden wurde, und, was aktuell ausgeführt wird.

Point of no return deklarieren  

Dem mittlerweile, durch mein hektisches hin und her, beunruhigten Patienten in seine weit aufgerissenen Augen zu schauen ist schwer. Es folgt eine Ansage, bei der ich den «ich putze ihre Zähne Teil» der Zahnreinigung als offiziell unterbrochen deklariere. Der Sorgezahn ist unumgänglich in den Fokus geraten. Eine neue Etappe der Sitzung wird damit ausgelöst. 

Erschwerte Bedingungen oder gar der Sinkflug wird damit erzeugt, denn die Behandlung verlangsamt sich ab da.

Der Patient wünscht sich teils sehnlichst als Teil der Lösung zu sehen und quasselt gutgemeint, aber diffus drauf los: «alles nicht so schlimm» winkt er mit einer Handgeste ab. «Tut gar nicht weh, war schon immer da» oder «die Schmerzen waren vor 3 Wochen ganz schlimm, aber ich wusste ich komme ja zu Ihnen und dann sehen sie ES ja» Diese Etappe ähnelt akustischen Warnblinker und Sirenen mit auf- und abschwellendem Heulton in den Ohren. Es herrscht Alarm. Was vom Wiedergegebenen des Patienten ist hilfreich, relevant oder nützlich? Was wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfasst und liegt bereits auf dem Radarschirm? Dieses Phänomen, eine Art von Turbulenz, taucht manchmal unverhofft auf und erfordert die volle Aufmerksamkeit und Berufserfahrung der DH, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Jetzt aber schnell wieder Herr/Frau der Lage zu werden, bevor es zur Bruchlandung kommt, denn die Behandlungszeit ist fast um.

«Ach, und wie entsteht Zahnstein? Was halten sie von Zahn Bleaching? Putzen sie selbst elektrisch?» Der Patient redet, statt zuzuhören. Diese Ermittlung ist ein hartes Stück Arbeit. Jetzt ist viel Konzentration und Empathie gefragt. Freundlich, aber bestimmt richtet man bei der nächsten Gelegenheit die Nase des Patienten steil nach hinten und den Behandlungsstuhl zurück in die Horizontale. Speichelzieher aktivieren und Ablenkungen vermeiden.

Eine Checkliste für Notfälle

Es gibt Checklisten, die eine DH auswendig kann. Die aber für Notfälle, erfordern besonders sorgfältiges Handeln. Eine wie sie in der Luftfahrt verwendet wird, haben wir physisch nicht parat. Diese listenartige Handlungsanweisung, schnell zur Hand, welche die zur Durchführung von Massnahmen erforderlichen Kontrollen und Aktionen in korrekter Reihenfolge enthält. Checklisten werden in der Regel vollständig abgearbeitet, um sicherzustellen, dass durch Routine, Stress oder Unachtsamkeit keine wichtigen Punkte vergessen werden. Auch wenn die DH die Abläufe „wie im Schlaf“ beherrscht, sorgen sie für einenreibungslosen Ablauf.

Schriftlich werden alle diagnostische Mittel zusammengetragen, die später bei einem Datenvergleich relevant sein könnten.

Röntgenbild check, CO2 check, STI check, Klopftest check, Hitzesensibilität check, Aufbiss check, höre ich mich innerlich aufzählen. Die Suche nach wichtigen Hinweisen, ob alles so ist, wie es sein soll unter Berücksichtigung der Hauptrisikofaktoren, um es später zur Verfügung zu stellen, folgt einem Ausschlussverfahren. Zufallsbefunde sind dabei nicht selten. Der belastende Druck während der Ermittlung nichts zu vergessen ist gross. Closed loop communication bezeichnet eine Kommunikationsstrategie, die durch Rückbestätigung Fehler vermeiden und für eindeutigen Handlungsablauf sorgen soll. Diese fehlt uns DH’s, denn zum Zeitpunkt der Ermittlung steuert der Kapitän oder Zahnarzt/in gerade in einem anderen Zahnkockpit und selten hat eine DA Zeit uns zu assistieren.

Ich avisiere also den Tower / Team S h i e l d / Empfang, dass bald ein Patient bei ihr landet, der einen Termin bei der Chefin, Kommandant der Praxis, für eine Zahnbehandlung braucht. 

alarm im zahncockpit
Mit Assistenz ginge vieles einfacher

Blackbox, Sprachaufzeichnungen

Dass sich der Speicherfolienscanner gefühlt, wie ein Sonntagsfahrer auf zwei Räder verhält und das Trockeneis sich schneller in Gasphase verwandelt als ich blinzeln kann, bleibt natürlich aussen vor. Die nicht immer einsatzbereite Technik verzögern den Prozess entscheidend. Allerdings ist dies später beim Rekonstruieren der gesammelten Daten selten relevant.

Ach, wie sehr sehne ich mich in solchen Momenten nach einer Blackbox. Oder ein ähnliches Sprachaufzeichnungsgerät, das während des Vorfalls Datenaufnahme relevante Parameter und Angaben sowie akustische Informationen zeitlich zugeordnet speichert. 

Schlussbericht Alarm Zahncockpit

Das Trümmerfeld Zahn landet dann zu einem vereinbarten Termin beim Zahnarzt auf dem Behandlungsstuhl. Dieser soll, den Fall klären und reparieren. Als Kenner des Originalbauplans ermitteln sie biologische Komplikationen und vergleichen diese mit den bestehenden Evaluationen, unter Berücksichtigung der Hauptrisikofaktoren. Letztendlich ist es nicht immer möglich genau herauszufinden was passiert ist. Diese ungeklärte Ursache ist für den Patienten besonders hart. Das Warten, auf den langersehenten Durchbruch aber dann die fehlenden Beweise. 

Wie konnte eine Veränderung am Zahn nur so schnell entstehen. Waren es Ermüdungsrisse auf dem Material, das mit der Zeit so in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass es irgendwann komplett versagte? Haben Anzeichen gesundheitlicher Probleme etwas damit zu tun? Die Suche nach dem fehlenden Puzzle Teil lassen Patienten teilweise nicht los. Zurück bei ihrer DH-Sitzung fragen sie, da sie sich nicht getraut haben den Zahnarzt bei seinen Ausführungen zu unterbrechen.

Nach hart ermittelter Arbeit werden, bei einem guten Zahnarzt DH Verhältnis, die Sicherheitsrisiken nochmals besprochen und eine Empfehlung abgegeben, wie in der Zukunft mögliche Fehler nicht wiederholt werden. Die Sehnsucht nach mehr Assistenz während ihrer Arbeit  bleibt bei viel zu vielen Dentalhygienikerinnen eine Realität.

Weitere Beiträge aus der Kolumne „Inside Dentalhygiene“ mit DH Mafalda Philipp

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